Maria wächst in einer Zeit der permanenten Beobachtung auf. In einer Zeit, in der alles nach Bewertung schreit und beurteilt wird. Wie kann ich ihr helfen, dabei ihre Träume nicht aus den Augen zu verlieren?
Diese Frage treibt mich um, seit Ende April die neue SINUS-Studie veröffentlicht wurde. Seit 2008 werden dafür alle vier Jahre 14- bis 17-Jährige zu ihrer Einstellung, ihren Wünschen und ihren Träumen interviewt, um herauszufinden, wie die Jugend "tickt". Das Ergebnis: „Man möchte sein wie alle. Die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen Jugend-Subkulturen gibt es kaum noch.“ Eigenheim statt Punk, sicherer Job statt Rock’n Roll. Ich finde das logisch und erschreckend zugleich.
Logisch, weil es die erste Generation ist, für die Social Media, Selfies und Onlinesein wie selbstverständlich zur Pubertät gehören. Ständig ist Meinung gefragt, betteln Apps, Spiele, Einkäufe, Posts oder Fotos um Bewertung. Ruhelos wird der eigene Alltag nach teilbaren Sequenzen und Selfie-Momenten abgetastet, die bei Instagram, Snapchat & Co. dem Warten auf Herzen, Like-Daumen und Kommentaren ausgesetzt werden. Jede neue virtuelle Spielwiese wird erst von den Ängsten der Eltern vor Sexting, Cybermobbing oder Abhängigkeit überrollt und dann – wie Snapchat – von der Werbung entdeckt und auf Mainstream zurechtgestutzt. Eine Jugend, die ständig unter Beobachtung steht. Was das auslöst, beschreiben Psychologen auch als Hawthorne-Effekt: Wer sich beobachtet fühlt, ändert leichter sein Verhalten und passt es an.
Der Freiraum Rebellion und Träume schrumpft. Das finde ich erschreckend
Ich gehöre noch zu den privilegierten Generationen, die wild feiern konnten ohne die Furcht vor dem Urteil danach. Ich hatte mir zum Abitur drei Jahre Leben geschenkt, um meinen Träumen nachzujagen. Ich kellnerte, modelte, schauspielerte, schrieb, las, reiste, tanzte, feierte. Ich fiel durch Aufnahmeprüfungen, bekam Absagen, war am Monatsende oft pleite, verliebte und entliebte mich. Eine aufregende Zeit, voller intensiver Momente. Trotzdem gibt es kaum Fotos, Videos oder Texte aus diesen Jahren. So wurde mein Erwachsenwerden mit all seinen Irrungen und Abenteuern nur zu Erinnerungen – über die ich entscheiden kann. Ob ich sie teilen oder in der Versenkung verschwinden lassen will. Nichts davon wurde in die digitale Ewigkeit zementiert. Bei Maria wird das anders sein.
Wie kann ich ihr helfen, später ihre Träume nicht an die omnipräsente Meinung der anderen anzupassen. Ihr den Mut zu Fehlern mit auf den Weg zu geben, den es zum Wachsen braucht? Ich bin mir nicht sicher.
Wir versuchen, ihrer Intuition und ihren Wünschen zu folgen– nicht unseren Ängsten und unseren Erwartungen. Und wir sagen ihr immer wieder: Nicht das Ergebnis zählt, sondern der Versuch.