Wie „App“ ein Zwitter wurde


„Deine neue App“, steht groß auf einem Plakat an der Bushaltestelle. „Guck mal Mama, die können nicht richtig schreiben! Das muss doch DEIN heißen, oder?“ Mein Kind lernt gerade Lesen und Schreiben, ich brauchte einen Moment, um mich zurechzufinden, redete sie nur vor sich hin oder hatte sie etwas entdeckt, das mir noch nicht aufgefallen war? Das oder die App? Ich war mir auf einmal nicht mehr hundertprozentig sicher.

Wir schlugen im großen Buch der Rechtschreibung nach. Aber das Wort App ist so neu, dass es in unserer Ausgabe des Dudens noch gar nicht existiert. Also ab ins Internet. Auf der Online-Seite des Verlages steht, dass beide Artikel richtig sind. „Warum?“ wollte Maria wissen und „Wie kriegen neue Wörter das?“
Wer bestimmt, welchen Artikel ein neuer Begriff bekommt? Weil ich darüber noch nie nachgedacht hatte, war ich ahnunglos und rief unter www.rechtschreibrat.com die Wächter der Sprache um Hilfe. Schon am nächsten Tag lag eine Antwortmail der Buchstaben-Chefin im Postfach. „Kinder stellen mitunter die besten Fragen – eine erschöpfende Antwort gibt es auf diese Frage nicht“, schrieb Dr. Kerstin Güthert, Geschäftsführerin vom Rat deutsche Rechtschreibung am Institut für Deutsche Sprache. Es gäbe zwei Möglichkeiten zur Bestimmung des Geschlechts.

Variante eins - der geschlechtlose Neuling kommt und wird mit ähnlichen Wörtern in eine Reihe gestellt: „So sind Wörter, die auf -ion enden, in der Regel weiblich, Wörter, die auf -ing enden, in der Regel sächlich, vgl. die Modifikation, die Fraktion, das Aquaplaning, das Grand Opening, das Casting usw.“

Variante zwei - die nächsten Verwandten des Neueinsteigers werden ausfindig gemacht: „Man orientiert sich am Genus der deutschen Entsprechung beziehungsweise am Genus eines sinnverwandten deutschen Wortes. So z.B. das Souvenir nach das Andenken, die High Society nach die Gesellschaft.“

Als der Begriff „App“ den Sprung vom Silicon Valley nach Deutschland schaffte, machte er sich erstmal lang - zur „Applikation“. Fürs -ion am Ende schenkten die Wächter der Sprache ihm ein DIE und entließen App damit in den Alltag. Dort kannte aber nicht jeder die Langform des Newcomers. Einige hielten ihn vielleicht sogar für eine Analogie von Spiel, und so bekam App immer wieder ein DAS vorgesetzt. Vorläufig wurde App deshalb als Wortzwitter anerkannt, was recht häufig vorkommt, wenn sich ein Fremdwort in den deutschen Wortschatz integriert. „Schwankungen sind Indiz und Ausdruck von Integration zugleich“, schrieb Dr. Kerstin Güthert. Der Satz auf dem Plakat war also nicht falsch, aber auch nicht der einzig richtige.

Marias kleine Frage hatte uns im Reich der Sprache bis an die Grenzen der Regeln geführt und jeden mit einem kleinen Schatz zurückkehren lassen: Ich hatte zusammen mit meinem Kind etwas neues lernen können und Maria durfte ihr „schöner klingendes“ das App behalten. Am tollsten fand sie aber, dass die Chefin der Buchstaben sie grüßen ließ.