Wenn ich als Kind Fragen hatte, ging mein Vater oft zum Bücherregal und holte eine Enzyklopädie heraus. Auch wir haben noch einen Brockhaus im Regal. In Marias Bibliothek finden sich Bücher wie „Mein Körper“ oder „Meine erste Enzyklopädie“. Trotzdem greifen wir bei Fragen immer häufiger auf Youtube und Google zurück. Dort finde ich Fotos oder Filme zu allen Themen, egal ob Maria wissen will „Wie können blinde Kinder malen?“ oder „Gibt es Tiere mit zwei Köpfen?“ Es sind aber nicht nur ihre Fragen, sondern auch meine Erklärungen, die uns bei Youtube landen lassen. So wie letztens nach einem Familien-Kinobesuch.
Dort gab es vor dem Film Werbeeinspieler, von denen einer meine Tochter total begeisterte. Maria ist das Marketing-Trommelfeuer noch nicht gewöhnt, weil wir versuchen, es so gut wie möglich aus ihrem Alltag fernzuhalten. Im Fernsehen läuft bei uns werbefreies Kika oder DVD. Gratis-Spiele für den Computer probiere ich zuerst allein durch, um sie bei viel Werbung wieder zu löschen. Deshalb kannten wir den Kinderüberraschungs-Spot, der vor dem Kinofilm lief, noch nicht. Beim „Neugier-Test“ setzt eine Frau ein Kind vors Überraschungsei, sagt: „Das ist für dich. Wenn du es nicht öffnest, bis ich wieder da bin, bekommst du sogar ein zweites“ und verlässt den Raum. Dann setzt lustige Musik ein und das Kind müht sich gestenreich, der Süßigkeit zu widerstehen. Damit es noch ein bisschen lustiger ist, werden mehrere Mädchen und Jungen gezeigt, die sich in kindlicher Ungeduld vor einem Überraschungsei winden, um dann ALLE der Versuchung zu erliegen. Das Ganze endet mit der Frage: „Na, neugierig?“
Nach dem Kino, auf dem Heimweg erzählte Maria vor allem von dieser Werbung. Wie lustig die Kinder ausgesehen und dass sie doch auch zwei Eier hätten haben können. „Aber die waren so neugierig“, versuchte sie sich selbst das Verhalten der Werbeknirpse zu erklären.
Wer nicht warten kann, ist neugierig - und das ist toll! Walter Mischel würde bei diesem Rückschluss wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der Psychologe entwickelte das Experiment, das die Werbung zitiert: Der Marshmallow-Test. Ende der 60er Jahre setzte Mischel Vierjährige vor einen Marshmallow und stellte sie vor die Wahl: Entweder gleich verputzen oder warten und einen zweiten als Belohnung bekommen. Jahre später traf er die Kinder wieder. Diejenigen, die warten konnten, waren selbstbewusster, empathischer und in der Schule erfolgreicher als die Sofortesser. Mischels Schlussfolgerung: Selbstdisziplin ist eine fundamentale Fähigkeit für ein erfolgreiches Leben. Im Klartext: Warten können ist toll! Das musste ich jetzt nur noch Maria verklickern.
Deshalb erzählte ich ihr auf dem Heimweg von dem Marshmallow-Test, den sich ein berühmter Wissenschaftler ausgedacht hatte. „Und wer hat gewonnen?“, fragte Maria neugierig. Im Brockhaus gab es weder unter Marshmallow noch unter Mischel einen Eintrag. Bei Youtube hingegen tauchten unter den Stichwörtern gleich mehrere Treffer auf. Weil nicht jeder Film für Kinder geeignet ist, sehe ich sie mir zuerst alleine an. Schnell fand ich einen schönen Beitrag über den richtigen Marshmallow-Test. Gemeinsam guckten wir den Jungen und Mädchen dabei zu, wie sie - ähnlich gestenreich wie die Werbeknirpse - vor der Süßigkeit zwischen jetzt und später schwankten. Einige wurden schwach, aber viele hielten durch und bekamen ihre Belohnung, die sie genüsslich in den Mund stopften.
Danach wollte Maria auch einen „echten Test“ machen. In den Untiefen des Küchenschranks fand ich noch Mäusespeck vom letzten Kindergeburtstag, legte ihn auf den Tisch und stellte unsere Videokamera davor. Dann erklärte ich die Bedingungen noch einmal und verließ den Raum. Als ich zehn Minuten später zurückkam, war der Marshmallow noch da. Doch mehr als die Belohnung interessierte Maria ihr Wartefilm. Den guckten wir gleich in der Kamera, bis die Batterie runter war. Danach wollte Maria den Test unbedingt noch einmal wiederholen. Natürlich mit neuem Mäusespeck. Sie kann nämlich warten – und rechnen.