„Jeder von uns hat die Möglichkeit zu begreifen, dass auch er, sei er noch so bedeutungslos und machtlos, die Welt verändern kann“, glaubte Vaclav Havel. Der Tscheche, Dichter, Staatsfeind, Präsident und Menschenrechtsverfechter hilft indirekt auch noch nach seinem Tod Kindern, den Glauben an die eigene Kraft zu finden. In einer ehemalige Bahnhofshalle der französischen Eisenbahngesellschaft im 18. Arrondissement von Paris. Dort wurde 2013 die Vaclav-Havel-Bibliothek eröffnet. Ein lichtdurchflutetes multimediales Bücher-Paradies.
Wir hatten Freunde im 18. Bezirk besucht, kein Vorzeigestadtteil, kein Ort für eine überbehütete Kindheit. Ein buntes, lärmendes Viertel. Und mittendrin die „neue Generation der Bibliothek“. Eine der schönsten, die ich bisher besucht habe. Vor der Tür gibt es einen Spielplatz und grüne Gärten, drinnen lichtdurchflutete Räume, in denen sich die alten Stahlträger an helles Holz lehnen. Auf zwei Stockwerken warten Bücher über Bücher, eine Kleinkind-Leseecke und Sitzkissen auf den Fensterbänken. Was ich so allerdings nicht kannte: Inmitten der bücherbeladenden Regale stehen vier PCs, an denen Kinder nach Belieben spielen oder im Internet surfen können. Neben der Abteilung für Kunstbücher wartet der „@robase“, einer der drei abgetrennten Computerräume. Dort können Kinder nach der Schule auch mit Tablets für ihre Hausaufgaben recherchieren, Studenten ihre Arbeiten schreiben, Eltern ihre Mails lesen.
Dazu gibt es jede Menge Angebote: Bastelnachmittage, Computer-Workshops, Alphabetisierungskurse, Kinoabende, Konzerte und Ausstellungen. Unterm Dach wartet eine Videospielabteilung, die an ein großes Wohnzimmer erinnert. Wer sich anmeldet, kann eine Stunde lang vor der Wii-Station tanzen, sich an der Xbox mit seinen Freunden messen oder sich mit einer kleinen Spielekonsole in eine der Kuschelecken zurückziehen. Der Clou allerdings sind die Mitarbeiter der Bibliothek. Sie schauen den Kindern über die Schulter, haben zu Halloween Bonbons in der Schublade und können jede Menge Geschichten über und aus Büchern erzählen.
Mein Französisch beschränkt sich auf eine Handvoll Worte, deshalb konnte ich nur beobachten: Eine junge Angestellte spielte an ihrem Schreibtisch mit drei Mädchen Name, Stadt, Land. Die Frau aus der Videospielabteilung legte einem Verlierer tröstend die Hand auf die Schulter. Eine Gruppe aus sieben Jungen und Mädchen sammelte sich um einen Angestellten mittleren Alters und redete fröhlich durcheinander auf ihn ein. Nur eine Momentaufnahme - aber mir schien es, als wären die Erwachsenen im Bücherland wie Freunde der Kinder.
Viele der kleinen Besucher kommen aus sozial schwachen Familien. Wem Zugang und Verständnis für moderne Kommunikationstechnik fehlt, hat schlechtere soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen. Studien besagen, dass gerade der Nachwuchs einkommensschwacher Familien an der sogenannten digitalen Kluft zurückbleibt.
Die Kinder im 18. Arrondissement haben ein Sprungbrett bekommen!