Noch sammelt und tauscht meine Tochter „Star Wars“-Karten - weil das in ihrer Klasse irgendwie jeder macht. Schon bald werden die Kinder diesen kollektiven Sammel-Impuls auf die virtuelle Welt ausdehnen. Seien es Likes bei Facebook, „Gefällt mir“-Herzen bei Instagram, Abonnenten bei Youtube, Fans bei YouNow, Karmapunkte bei Reddit oder Follower auf Twitter und Tumblr.
Messbare Anerkennung auf jeder Plattform. Überall die Verlockung, eine „Berühmtheit“ zu werden.
Und man muss dafür - anders als bei den „Star Wars“-Karten - nicht mal sein Taschengeld ausgeben.
Nur ein paar Informationen und Fotos. Ein Bild vom Mittagessen oder dem neuen Pullover bekommt beim Foto-Teildienst Instagram schon das eine oder andere „Gefällt mir“. Was soll daran gefährlich sein?
Erstmal nichts! Aber wie Rotkäppchen können die Herzchensammler immer tiefer in den digitalen Wald geraten, immer persönlicheres preisgeben, um einen besonders großen Strauß Anerkennung zu pflücken. Anders als im Märchen hat es der Wolf nicht auf die Großmutter abgesehen – die hat ja vielleicht nicht mal ein iPhone.
Er bleibt stattdessen dem Kind auf der Spur, liest die Informationen auf, die es beiläufig fallenlässt, und setzt sie wie ein Puzzle zu einer realen Adresse zusammen. Oder er lockt es in eine Falle - mit Komplimenten, Beleidigungen oder Drohungen (weil es beispielsweise angeblich zu GEMA-geschützer Musik vor der Webcam tanzte).
Bei den Gebrüdern Grimm würde am Ende der Jäger alles ins Lot bringen. Und die Mutti wäre sowieso fein raus, schließlich hatte sie ihr Kind ja nachdrücklich gewarnt: „Geh hübsch sittsam und komm nicht vom Wege ab.“ Aber das reicht nicht. Zumal viele aus der Klasse Rotkäppchen erzählen werden, wie cool es im Wald abseits der Wege ist. Wie viel Anerkennung, Lob und Selbstbestätigung sich dort finden lassen.
Bisher habe ich bei der Medienerziehung vor allem darauf geachtet, dass mein Rotkäppchen frühzeitig versteht, welche Gefahr die Herausgabe von persönlichen Daten mit sich bringen kann. Ich glaube ein nächster Schritt ist, auch Marias virtuelle Empathie zu stärken, damit sie für Herzen und Likes nicht andere verletzt. Mit einer „Lesestunde“ bei Facebook oder Twitter vielleicht, in der wir die Kommentare besprechen und auswerten können.
Und ihre Selbstachtung stärken. Damit sie lernt, sich und ihrem Urteil zu vertrauen, um sich später bei dieser Suche nach Anerkennung nicht selbst zu verlieren. Ich denke, wenn es soweit ist, dass Maria sich regelmäßig im Internet aufhalten möchte, werde ich mit ihr einen Vertrag aufsetzen. Die Ratgeberseiten Internet-ABC und Klicksafe bieten unter www.mediennutzungsvertrag.de eine individuell gestaltbare Vorlage. Die gibt die Möglichkeit, gemeinsam Regeln zu vereinbaren, No-Go-Areas aufzustellen und Zeitenräume zu definieren. Und einander so auch Vertrauen und Respekt zu zeigen. Denn an den Vertrag müssen sich beiden Seiten halten – Rotkäppchen und die Eltern.