„Mama, vertrau mir“, meint meine siebenjährige Tochter manchmal, wenn ich sie mit mütterlicher Fürsorge vor imaginären Gefahren beschützen will. Dann versuche ich loszulassen: Mein Ängste und mein Kind. Noch beschränkt sich Marias Forderung auf die reale Welt. Doch schon bald wird auch ihr virtuelles Ich mein Vertrauen brauchen. Wie sehr, das ist mir nach dem neuen Kinofilm „#Zeitgeist“ klar!
Der Film von „Juno“-Regisseur Jason Reitman erzählt von Teenagern und ihren Eltern. Verwurzelt in einer amerikanischen Kleinstadt schwappt das virtuelle Leben aus Chatrooms, Facebook, Tumblr, Porno- und Datingseiten in den Familienalltag. Da ist ein Vater (Adam Sandler), der auf dem Computer seines Sohnes Extrem-Pornos entdeckt, aber nicht mit ihm darüber reden kann, weil er selbst an dessen PC für sich nach virtueller Befriedigung suchte. Dann gibt es seinen 15-jähriger pornosüchtiger Sohn, der bei körperlicher Nähe keine Erregung spürt, aber niemanden hat, dem er sich anvertrauen kann. Daneben die enttäuschte Cheerleaderin, die für ihre Freundinnen das Entjungferungs-Fiasko zum Entjungferungs-Ereignis umdeutet und für eine Karriere als zukünftiger Promi vor der Kamera ihrer Mutter posiert.
Ein paar Häuser weiter kreist Jennifer Garner als Drohnen-Mutter über ihrer Tochter, kontrolliert manisch deren Handy-, Computer- und sogar GPS-Daten. Sie verweigert ihr jegliche Privatsphäre, um sie „zu beschützen“. Aus tief empfundener Mutterliebe quält sie sich durch seitenlange Verlaufsprotokolle und löscht vorsorglich Facebook-Nachrichten. Trotzdem gelingt dem Digital-Native-Mädchen eine heimliche virtuelle Identität und eine Affäre. Sie verliebt sich in Tim, der, nachdem seine Mutter abgehauen ist, mit dem Vater in einer tiefen Schweigsamkeit lebt und sich in das Online-Rollenspiel „Guild Wars“ flüchtet. Die Teenager-Beziehung ist die einzige im Film, in der es Nährboden für Vertrauen gibt.
Es sind alles gutbürgerliche Mittelstandsfamilien, die in dem Film eigentlich nur das Beste für ihre Kinder wollen. Doch zwischen und in den Generationen herrscht Sprachlosigkeit, bis sie in autoritären Verbotsausbrüchen eskaliert und junge digitale Existenzen zerstört, deren Bedeutung die Eltern erst im Nachhinein erahnen. Ist das Zeitgeist? Ich denke Ja!
In den USA floppte der auf dem Roman „Men, Women & Children“ basierende Film, in Deutschland kommt er nur kurz in wenige Kinos. Dabei bricht die digitale Welt auch bei uns mit seiner vollen Vielfalt ins Familienleben. Die Mutter eines Elfjährigen erzählte mir, dass ihr Sohn sie fragte, ob sie einen Dildo hat. Ein anderer Elfjähriger sprach mit seinem Vater, weil es in seiner Klasse ein neues Mutspiel unter Jungs gibt: Wer kann sich am längsten Hardcore-Pornos angucken. Die holen sie sich ohne große Mühe aufs Handy. Der Sohn eines Freundes verbringt Stunden seines Lebens in der virtuellen Welt von „Minecraft“.
Verbote bringen wenig. Ich glaube, der Schlüssel liegt im Miteinander. Reden, zuhören, Regeln aufstellten. Und vielleicht ins Kino gehen. „ #Zeitgeist“ können Eltern und Teenager zusammen gucken. Und danach vielleicht miteinander reden: über Ängste, Grenzen, Möglichkeiten, Wünsche und Vertrauen.